Wie versprochen folgt nun der Prolog meines Romans „Swim Away“. Viel Spaß (Lesezeit circa 5 Minuten):
Freibäder sind komische Orte. Monatelang sind die Schwimmbecken von Planen bedeckt, Rettungsleinen vereist und Liegestühle weggeräumt. Niemand verschwendet einen Gedanken an sie, solange noch Schnee liegt.
Doch dann kommt der Frühling, zwar später als erhofft, aber dafür plötzlich. Kurz nach der ersten Kugel Eis, die man mit offener Jacke isst, regt sich die Sehnsucht nach dem Geruch von in der Sonne getrockneten Badeanzügen. Sehnsucht nach den Möglichkeiten des Lebens, die einem im Sommer, während man im Freibadbecken treibt und den Himmel betrachtet, unendlich erscheinen. Sehnsucht nach dem heißesten Tag des Jahres, an dem ein schmieriger Film auf der Haut klebt. Sehnsucht nach dem Wasser, das die Spuren verwischt, sodass niemand mehr unterscheiden kann, was sich soeben aufgelöst hat:
Sonnencreme. Schweiß. Tränen.
Doch noch froren nackte Teenagerfüße, wenn sie über die dunklen Steinplatten des Freibades liefen. Die gemähte Liegewiese lag ebenso verlassen da wie die Plastikbänke beim Kiosk. Einsame Wassertropfen rannen aus dem Rüssel des ramponierten Plastikelefanten, der in der Mitte des Babybeckens stand. Im Nichtschwimmerbecken trieben drei Fünftklässler auf Luftmatratzen. Sie spielten trocken bleiben.
Dennis, Teilzeit-Rettungsschwimmer mit Hannover 96-Kappe, die er ins Gesicht gezogen hatte, um seine pickelige Stirn zu verdecken, lehnte am Geländer und beobachtete die Kinder gelangweilt. Wenn niemand hinsah, scrollte er über den Bildschirm seines Handys. Hin und wieder streckte er sich, um das Vereinstraining im Schwimmerbecken mitverfolgen zu können. Jeden Freitag verrenkte er sich den Hals und hing einem Tagtraum nach, der einzig in Detailtreue und Dramatik variierte – je nachdem, wie viel Raum die Sehnsucht in Dennis gerade einnahm. Sie galt immer der gleichen Person – der Schwimmerin, die an seinem ersten Arbeitstag vor ein paar Wochen in die Bademeisterkabine geeilt war und den Oberbademeister nach einer Ersatzschwimmbrille gefragt hatte. Sie war ein paar Zentimeter größer als Dennis, bewegte sich dynamisch und trug den dunkelblauen Badeanzug, an dessen Seiten orangene Streifen leuchteten, mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre er ihre zweite Haut. Ihr braunes Haar schwang in einem lockeren Zopf um ihre Schultern. Obwohl sie ungefähr im gleichen Alter sein mussten – so um die 17 – hatte sie ihn keines Blickes gewürdigt. Er hingegen hatte sein Herz sofort an sie verloren.
An diesem Freitag lief Dennis Tagtraum so ab: Eine Hitze, wie Hannover sie lange nicht mehr erlebt hatte, brütete über der Stadt und das Freibad hatte einen neuen Besucherrekord erreicht. Im Radio erinnerten sie einen daran, Wasser zu trinken. Dennis war vollauf damit beschäftigt, dreizehn Kleinkinder und deren Mütter im Babybecken in Schach zu halten. Trotzdem entging es ihm nicht, als die Schwimmerin aus der Umkleidekabine kam. Selbst aus fünfzig Metern Entfernung fiel ihm auf, dass sie kraftlos wirkte – ihr Zopf schwang nicht im Takt ihrer Bewegung und ihr Blick war nicht wie sonst nach vorne gerichtet, sondern auf die Fliesen am Boden. Ihr Training begann und er beschloss, sie im Auge zu behalten.
Gerade, als er von einer Mutter, deren Kind bis zur Unkenntlichkeit mit Sonnenmilch eingeschmiert worden war, dazu aufgefordert wurde, einen Schwimmreifen in Marienkäferform aufzublasen, erlitt die Schwimmerin im Wasser einen Schwächeanfall. Ohnmächtig sank sie an den Boden des Beckens. Niemand bemerkte es. Nur Dennis, der einzige Teilzeit-Rettungsschwimmer Hannovers, der alle Schwimmbecken gleichzeitig überwachen konnte, besaß die Reaktionsschnelligkeit und Geistesgegenwart, ihr Untergehen zu bemerken. Schneller als Usain Bolt rannte er zum Beckenrand und machte einen Kopfsprung, um den ihn Michael Phelps beneiden würde. In letzter Sekunde zog er die bewusstlose Schwimmerin aus dem Becken und belebte sie vor den bewundernden Blicken der Freibadbesucher wieder, woraufhin sie sich beim ersten Augenaufschlag unsterblich in ihn verliebte und –
Ein klatschendes Geräusch und kalte Wasserspritzer auf dem T-Shirt zwangen Dennis Aufmerksamkeit zurück zum Nichtschwimmerbecken. Einer der Fünftklässler heulte. Er war von den anderen Kindern ins Wasser geschubst worden.
Dennis seufzte. Während er, weniger wie ein Rettungsschwimmer und mehr wie ein Babysitter, in die entbrannte Rangelei eingriff, verblasste sein Tagtraum. In der nasskalten Wirklichkeit des Freibades, die aus 70er-Jahre-Betonbauten und vermoosten Fliesen bestand, erkannte er, dass ein Mädchen wie die Schwimmerin niemals von einem Typen wie ihm würde gerettet werden müssen.
Was sollte ihr schon passieren.
In Aurelies Tagträumen war Dennis, der Rettungsschwimmer vom Nichtschwimmerbecken, noch nie vorgekommen. Für seine Schwärmerei hätte sie nicht mehr als ein Schulterzucken übriggehabt. Nur eine Sache hätte sie klargestellt.
Sie war keine Schwimmerin.
Sie war Triathletin.
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Ab wann im Handel? Ich nehme eins 😉
Und ich habe so eine Idee, wie Teil 2 und 3 heißt 😉
Ab wann es im Handel erhältlich sein wird ist wohl die Frage, mit der ich mich als nächstes beschäftigen muss 😉