Letztens habe ich darüber nachgedacht, meinen Lebenslauf zu aktualisieren. Doch dann konnte ich mich gerade noch davon abhalten. Mein Lebenslauf sagt wenig über mich und viel über unsere Gesellschaft aus: Wir betrachten und bewerten unser Leben und das Leben von anderen nach erfolgreichen Abschlüssen. Aber was wäre, wenn Leben nach Neuanfängen bewertet würde? Dann würden nicht nur die Erfahrungen zählen, die einem ein Zeugnis, eine Medaille oder etwas anderes Vorzeigbares eingebracht haben, sondern auch die Pläne, Träume, und Projekte, die im Sand verlaufen sind oder an denen man gescheitert ist.
Über das Scheitern
Ich habe eventuell vor einem Monat meinen ersten Roman veröffentlicht, aber ich bin in diesem Leben auch schon an vielen Dingen gescheitert. Zum Beispiel an: der ersten Führerscheinprüfung, Saxophon spielen, Arabisch lernen, daran, alle deutschen Klassiker lesen, an einem achtwöchigen Kraft- und Beweglichkeitskurs (zum jetzigen Zeitpunkt dreimal) und an einer Triathlon-Halbdistanz. Die Halbdistanz wurmt mich von dieser Liste am meisten. Aus heutiger Perspektive scheint es nichts wert zu sein, dass ich mal begonnen hatte, dafür zu trainieren. Die Donnerstage, an denen ich mich um 21 Uhr noch zum Schwimmtraining aufgerafft habe und die Mittwoche, an denen ich nach dem Crossfit-Training kaum noch den kurzen Weg nach Hause geschafft habe, habe ich aus meinem Gedächtnis verbannt. Weil wir in einer Welt leben, in der Ziele erst rückwirkend gesellschaftsfähig werden, nämlich wenn man sie erreicht hat. An der Halbdistanz bin ich gescheitert, also ist auch das Training, das ich dafür absolviert habe, nichts, worauf ich heute noch stolz sein dürfte, oder?
Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, dass nur der Abschluss zählt? Dass man sich immer rechtfertigen muss, wenn man etwas nicht geschafft oder nicht durchgezogen hat? Dass es einen Grund für das Scheitern geben muss; und zwar einen guten. Und wenn es den nicht gibt, hat man sich hoffentlich schon wieder in Bewegung gesetzt, um die Schmach auszumerzen.
Meine misslungene Halbdistanz ist jetzt vier Jahre her und ich habe seitdem keinen neuen Anlauf gestartet.
Über den Neuanfang
Dafür habe ich in den letzten Wochen viel über Scheitern und Neuanfänge nachgedacht, weil ich vor einem neuen Ziel stehe und ein mögliches Scheitern bereits wie ein Damoklesschwert über mir schwebt. Ich möchte Autorin werden. Eine, die von ihren Büchern leben kann. Ich weiß nicht, ob ich das schaffen werde. Es spricht ziemlich viel dagegen. Also verbringe ich meine Tage damit, mir in die Hosen zu machen, denn wenn ich scheitere, wäre das aus gesellschaftlicher Sicht eine echte Niederlage. Ich frage mich die ganze Zeit: Darf ich es feiern, dass ich mich auf den Weg gemacht habe? Dass ich es wage, Zeit, in der ich Geld verdienen könnte, gegen Zeit einzutauschen, an der ich am Schreibtisch sitze und mir Geschichten ausdenke?
Falls ich in einem Jahr als Putzfrau in einem schwedischen Altenheim den Boden schrubbe, weil mir das Geld ausgegangen ist, muss ich mich dann rückwirkend für heute schämen, einen Tag, an dem ich daran geglaubt habe, Schriftstellerin sein zu können?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich keine Lust habe, nur Vorhaben mit der Außenwelt zu teilen, von deren Gelingen ich überzeugt bin. Das ist langweilig. Vielleicht sitze ich früher oder später wieder in einem Vorstellungsgespräch und muss mich für meine „Lebenslauflücke“ rechtfertigen. Ich werde mich nicht entschuldigen. Ich werde die Wahrheit sagen: Ich wollte Schriftstellerin sein.
Lieber scheitern, als es gar nicht erst zu versuchen. Siehst du das auch so? Dann begleite mich doch auf meiner Autorinnen-Reise (ich bin nämlich noch nicht offiziell gescheitert). In meinem monatlichen Newsletter erzähle ich vom Scheitern, vom Gelingen und vom Status meines aktuellen Buchprojektes.
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