Wenn man mir 2010 gesagt hätte, dass ich mit Anfang Dreißig in einem kleinen Holzhaus im schwedischen Wald leben würde, ohne Festanstellung, Hypothek oder Anschluss an das örtliche Strom- und Wassernetz, dafür mit Zeit zur freien Einteilung, selbst veröffentlichtem Roman, Solarpanels und Trockentoilette, hätte ich gesagt: klingt interessant, aber ich glaube, Sie verwechseln mich mit einem Hippie. Ich bin zu normal für alternative Lebensentwürfe, da können Sie jeden fragen. Und überhaupt, ohne Triathlon-Verein in der Nähe gehe ich da eh nicht hin.
Tja, so kann man sich täuschen. Mein ursprünglicher Plan war es, einen Jahresrückblick für 2019 zu schreiben. Immerhin habe ich 2019 meinen ersten Roman veröffentlicht. Aber das ist schon im März passiert und fühlt sich lange her an. Außerdem bin ich danach in ein Loch gefallen und nicht so zufrieden damit, wie ich den Rest des Jahres verbracht habe. Deswegen dachte ich mir, was brauche ich einen selbstmitleidvollen Jahresrückblick, wenn ich stattdessen einen richtig coolen Jahrzehntrückblick schreiben kann, der mich, und hoffentlich auch dich, daran erinnert, das man das große Ganze im Auge behalten muss!
Vor zehn Jahren hatte ich einen Bürojob als Auszubildende in einem Verlag. Ich habe von 8 bis 16 Uhr gearbeitet und sonst ist nicht viel passiert. Es war okay. Ich wollte damals schon Autorin sein, aber ich hatte keine Ahnung, wie das ging und auch nicht das nötige Selbstvertrauen. Und außerdem hatte ich das Gefühl, dass das, was man im Leben wirklich machen möchte und das, was man letzten Endes macht, zwei unterschiedliche Paar Schuhe sind und dass es vermessen wäre, zu denken, daran etwas ändern zu können.
Bis mir drei Jahre später etwas passierte, was rückblickend ein Wendepunkt in meinem Leben war und mich davon überzeugt hat, dass Träume wahr werden können und alles möglich ist: ich ergatterte ein Vollstipendium, um ein Jahr an dem US-College studieren zu dürfen, in das ich mich schon 2010, noch in der Berufsausbildung, während der Recherche nach passenden Studiengängen verliebt hatte. Es erscheint mir bis heute so abwegig, dass ich dieses Stipendium bekommen habe und ich kann es mir nur damit erklären, dass ich es mir drei Jahre lang richtig doll gewünscht habe und damit irgendwie die nötigen Berge versetzt habe.
Den Moment, in dem das Wort „Mount Holyoke College“ in meinem E-Mailpostfach aufblitzte, sehe ich noch heute so bildhaft vor mir, als wäre er erst ein paar Tage her, und nicht sieben Jahre. Es war, als hätte mir das Universum zugerufen: „Endlich hast du dich mal was getraut! Hat nicht weh getan, oder? Und schau her, Mut wird belohnt.“
Seitdem ist viel passiert. Natürlich lief nicht alles super und manchmal habe ich monatelang stagniert, aber, um den Bogen zum großen Ganzen wieder zu schlagen: Ich lebe seit zwei Jahren 1.000 Kilometer außerhalb meiner Komfortzone, bin als Autorin angekommen und die Wahrscheinlichkeit, dass ich in diesem Leben nochmal in einen normalen Bürojob zurückkehren werde, schwindet von Tag zu Tag. Dass ich solche Worte mal schreiben würde, hätte ich nie gedacht, schon gar nicht vor zehn Jahren.
Ich bin immer noch kein Hippie, sondern weiterhin ziemlich normal, was doch auch irgendwie schön ist. Ein bisschen sollte man sich selbst ja schon treu bleiben, und es wäre ja auch langweilig, wenn ich aufhören würde, mir wegen meines alternativen Lebensentwurfes hin und wieder vor Schiss in die Hosen zu machen 😉
Was bedeutet das nun für das nächste Jahrzehnt? Absolut keine Ahnung! Deswegen: Hallo 2020, schön, dass du da bist.
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